Afghanistan zum greifen nah – Der Pamir Teil II

Afghanistan zum greifen nah – Der Pamir Teil II

Statistik:

Chorog – Tavildara – Dushanbe – Chudschand

Pannen:

Linke Vorderradgabel verliert Öl.

Fallquote:

11 Mal, davon 10 an einem Tag.

In Chorog treffe ich seit langem mal wieder auf Motorradfahrer. Joris (Belgien) und Ben (Deutschland), ein sehr ungleiches Reiseduo, haben sich übers Internet als Reisepartner zusammengefunden und sind auf sehr amüsante Weise ein Herz und eine Seele.

Reiseerfahrungen austauschend und Motorräder wartend vergehen die 2 Tage wahnsinnig schnell. Joris fällt auf, dass meine Vordergabel Öl verliert. Er versucht sie zu reinigen, allerdings werde ich bis Dushanbe feststellen, dass ich die Dichtung dort auf tadschikisch „reparieren“ lassen muss. Leider fahren sie, wie alle Motorradfahrer die ich treffe, die Route genau andersherum. Schade, wir waren einvernehmlich der Meinung ein gutes Trio abzugeben. Mein Träger wird erneut geschweißt und diesmal wird über die gesamte Länge ein Stahlrohr zur Verstärkung eingeführt.

Am nächsten Tag fahren wir die ersten Kilometer doch gemeinsam los. Ich fahre Joris`s DR 650 und bin ein bisschen verliebt in diese einfache Maschine. Wenig motiviert trete ich meine alleinige Weiterfahrt an. Abschiede von tollen Menschen fallen mir immer schwer.

Joris`s DR 350
Joris`s DR 650

Von Chorog aus hat man 2 Möglichkeiten nach Dushanbe zu kommen. Nach Kalaikum ist eine Brücke auf dem Pamir Highway eingestürzt und man kann entweder die gut asphaltierte „Südroute“ über Kulob nehmen, oder die „anspruchsvolle“ (O-Ton Joris) Nordpiste über 2 Pässe. ‚Anspruchsvoll und Piste klingt verlockend!‘ Ich entscheide mich also auf Anraten von Joris und Ben für die Nordroute. Blöde Idee. Sehr blöde Idee! Genaugenommen eine 10-Sturz-blöde-Idee. Glücklicherweise treffe ich auf die 4 Ungarn David, Josef, Sultan und Timi, die gerade Sultans Reifen wechseln. Nicht ahnend was uns erwartet breche wir gemeinsam zur Nordroute auf.

Irgendwie haben wir es geschafft schon vor der Umleitung eine falsche Abzweigung (ich habe keine gesehen) zu nehmen und finden uns in dicken Wolken und Regen auf einer Schlammpiste wieder. Sichtweite 1 Meter. Ich komme mit dem tiefen Schlamm schlecht zurecht und liege 4 Mal im Matsch. David, der hinter mir fährt, hilft mir unermüdlich Fridolin wieder aufzuheben. Dass der Schlamm heute das kleinere Übel ist, weiß ich jetzt noch nicht.

Nachdem wir 10 Km durch den Schlamm gekrochen sind werden wir von einer Gruppe Goldgräber auf der anderen Seite eines Flusses lauthals aufgehalten. Sie versuchen uns irgendetwas über den 5 Meter breiten Fluss zuzurufen. Auf Russisch versteht sich. Wir verstehen, dass wir nicht weiterfahren sollen, aber nicht warum. Ich beschließe durch den Fluss zu laufen. David folgt mit seiner Teneré. Er kommt 2 Meter weit und kippt um. Der Fluss ist Hüfttief und wir haben unsere liebe Mühe das Motorrad zu zweit wieder aus dem Wasser zu fischen. Die „Motorrad-in-Seenot-Rettungsaktion“ dauert gute 15 Minuten, weil sich die Maschine (wieder aufgerichtet) an einem Stein verkeilt hat.

Gegen meinen Rat starten wir die Teneré trotz kritischem Tauchgang und sie fährt die nächsten 200 Km mit Wasser im Öl fleißig weiter. Da wir auch auf der anderen Seite des Flusses wenig erreichen, fährt David die Straße erkunden. Die Goldgräber haben Recht. Kein Durchkommen Auch auf der „Straße“ ist eine Brücke eingestürzt.

 

Wir suchen nun also einen Umweg vom Umweg. Viele Straßen gibt es eigentlich nicht, auf dem Navi genaugenommen keine einzige. Wir fragen uns durch. Das bedeutet wir suchen erst mal eine Menschenseele hier im Nirgendwo.

Bisher sind wir trotz Matsch und Stürzen alle gut drauf. Bisher. Denn für die nächsten 30 Kilometer brauchen wir 7 Stunden. Spätestens hier möchte Joris und Ben im 10 Minuten Takt erwürgen! ‚„Schöne, anspruchsvolle Strecke“ Wenn ich das überlebe, können die was erleben!‘ denke ich wütend. Wir treffen ab hier keine Menschenseele mehr. Unser Weg besteht aus steilen Hängen mit großen runden Steinen, Flussbetten und hält als kleines Highlight eine Flussdurchfahrt bereit, die wir nur meistern indem 2 Leute neben dem Motorrad durch den Fluss laufen. Die Strömung ist stark und die Runden Okolyten im Wasser machen die Sache nicht einfacher. Bilder gibt es leider nur von den einfacheren Strecken. Bei den anderen Passagen war ich irgendwie eher im Überlebens- statt im Fotomodus. Ich frage mich langsam ob Joris und Ben tatsächlich diesen weg gefahren sind und rede mir ein, dass das nicht sein kann. Kein Mensch bei Verstand würde diesen Weg weiterempfehlen!

Die größten Probleme habe ich mit den seitlichen Abhängen (also rechts Berg, links Abhang). Fridolin rutscht seitlich immer von den glatten Steinen und ich verliere die Kontrolle. 6 Mal bringt mich das zu Fall. Während ich bei den ersten malen noch motiviert und guter Dinge bin, verliere ich bei den letzten Malen das Selbstvertrauen, fahre verkrampft und falle natürlich öfter. Bei Fall 9 und 10 bin ich so kraftlos und verzweifelt, dass ich am liebsten alles hinschmeißen würde. Dieses Gefühl hatte ich auf der Reise bisher nicht. Mir tut alles weh, meine Knie sind dick und blau, meine Schulter zieht, mein Helm ist verkratzt. Aber hab ich eine Wahl? Ich kann ja schlecht hier im Nirgendwo sitzenbleiben. David bietet mir an Fridolin durch die Flussbetten zu fahren, ermutigt mich aber, dass ich es selbst schaffe. Das tue ich dann auch irgendwie. Mein Stolz ist größer als meine Schmerzen! Eine gefühlte Ewigkeit (eine Stunde) später sind wir am Hotel in Tavildara. Ich fühle mich wie die schlechteste Motorradfahrerin on Earth.

Ohne Davids Hilfe hätte ich die Etappe nicht geschafft. Ich habe an diesem Tag 14 Mal ein Motorrad aufgehoben. 10 Mal davon mein Eigenes (mit Davids Hilfe!), 4 Mal Davids, einmal davon aus dem Fluss. Ich bin am Ende meiner Kräfte und ärger mich über das ganze Gefalle. Der Einzige der heute sturzlos durch den Tag kommt ist Joseph. Er ist die Etappe definitiv weiser angegangen. „Slowley but steady“ ist seine erfolgreiche Devise.

Am nächsten Morgen wechseln wir am Hotel erst mal Davids Öl. Es ist mehr braune Flussbrühe als Öl und ich wundere mich, wie die arme Teneré so überhaupt gefahren ist. Die Straße nach Dushanbe führt uns eine lange Zeit entlang der afghanischen Grenze. Wir sind nur nur durch einen Fluss von den afghanischen Dörfern getrennt. Alles sieht so friedlich aus und wie ich später erfahre soll die Region auch friedlich sein. Eine Frau aus einem Dorf jenseits des Flusses winkt uns zu. Ich ertappe mich dabei, wie ich kurz Mitleid empfinde ohne die geringste Ahnung ob es dafür Veranlassung gibt.

Ohne größere Zwischenfälle erreichen wir am Nachmittag Dushanbe. Wir kommen im gemütlichen Green House Hostal unter.

Am kommenden Tag steht die Reparatur der Dichtung meines linken Gabelholms an. Nach Austausch des Öls beider Holme federn die Gabeln unterschiedlich hart ein. 5 Ingenieure (4 Aus Holland und David aus Ungarn) stehen ratlos um mein Motorrad. Thomas recherchiert aus Deutschland. Die einheitliche Meinung, exklusive der des Mechanikers: ‚Da stimmt was nicht.‘ Der Mechaniker sagt das sei normal. 2 Stunden, 3 Telefonate mit Thomas und einen genervten Mechaniker später findet David ein Bild im Netz das zeigt: Der Mechaniker hat recht. Ich habe 2 unterschiedliche Federn. Kleinlaut lasse ich ihn seinen Job erledigen. ‚Wie peinlich!‘. Der gute Mann nimmt es schlussendlich mit Humor und möchte mich zu allem Überfluss noch zum Essen einladen. Nach der 7-Wodka-und-40-Anrufe-Aktion in Tadschikistan (hier geht’s zum Bericht), lehne ich aber ab.

Ich stelle mal wieder fest wie zeitaufwendig so eine Motorradreise ist. Ich habe von Dushanbe nichts gesehen und der Tag ist schon wieder um.

Am kommenden Tag brechen wir weiterhin als Quartett auf nach Chudschand auf. Dass ich mich mal so über eine Asphaltstraße freue, hätte ich nach meiner Begeisterung für Pisten nicht gedacht. Die Fallerei steckt mir noch in den Knochen. In Chudschand trennen sich unsere Wege leider. Meine ungarischen Freunde fahren zurück nach Osh und ich weiter nach Samarkand/Usbekistan. Wieder geht eine Begegnung für die ich sehr dankbar bin zu ende. Davids positive Art und sein Selbstverständnis von Hilfsbereitschaft und Josephs väterliche Gelassenheit werde ich noch oft vermissen.

2 thoughts on “Afghanistan zum greifen nah – Der Pamir Teil II

  1. Joris

    Waw, true adventure and persistence! Big Kudo’s for pushing true on the North route, even though it was demanding to say the least.
    You did ride the same roads as we did, from the pictures and descriptions, but we were fortunate to have a bit less rain the days before we crossed. There was mud, but not so much. There were river crossings, but not so high. Main thing is: you made it, and that experience will never go away. Well done!
    Great picture on Rocket the mighty DR. That was really a bike build for you.

    1. Cate

      You DID ride the same route and still recomanded it? And you tell me I ride like a maniac…crazy man! But thank you, you are right, in the end I made it in one piece. Maybe my my next bike will be the DR I am considering it. But for now Fridolin is bringing me hopefully to Germany and maybe maybe further to Marokko, Mauretania, Senegal, Southamerica. You will stay updated. Take care 🙂
      Cate

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